Nachbarrechtsschutz gegen „Umwidmung“ eines Vorhabengrundstücks?

In einem aktuellen Beschluss hat sich das OVG Bremen mit dieser Frage aus Anlass eines Eilantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die aus Sicht des Antragstellers zu Unrecht erfolgte planungsrechtliche „Umwidmung“ des Nachbargrundstücks auseinandergesetzt (vgl. OVG Bremen,1. Senat, Beschluss vom 18.10.2021, Az.: 1 B 320/21). Jetzt alles der Reihe nach.

Die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Bauvorhabens hängt maßgeblich von dem Standort des Vorhabens ab. Das Gesetz unterscheidet grundsätzlich drei Situationen, in denen sich Vorhaben befinden können:

  • Vorhaben im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans (§ 30 Abs. 1 BauGB),
  • Vorhaben im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) und
  • Vorhaben im Außenbereich (§ 35 BauGB).

Wenn ein Bauvorhaben nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans i. S. v. § 30 Abs. 1 BauGB liegt, beurteilt sich seine Zulässigkeit nach § 34 oder § 35 BauGB, je nachdem, ob das Grundstück im unbeplanten Innenbereich oder im Außenbereich liegt. Dabei steht der Außenbereich für eine Bebauung nur in sehr begrenztem Umfang zur Verfügung: Es gilt der Grundsatz, dass im Außenbereich nicht gebaut werden soll. Demgegenüber sind Vorhaben im unbeplanten Innenbereich nach § 34 Abs. 1 BauGB ohne Weiteres zulässig.

Vor diesem Hintergrund kann es einen Nachbarn irritieren, wenn ein Baukörper, der bislang als im Außenbereich (§ 35 BauGB) liegend betrachtet wurde und nach einer bestimmten Zeit wieder beseitigt werden sollte, nach erneuter Prüfung im unbeplanten Innenbereich gemäß § 34 Abs. 1 BauGB liegen soll und somit auf unbestimmte Zeit als planungsrechtlich zulässig betrachtet werden muss.

Will sich ein Nachbar gegen ein Bauvorhaben auf gerichtlichem Wege wenden, muss er die baurechtlichen und prozessrechtlichen Anforderungen berücksichtigen. Die prozessualen Möglichkeiten, die ihm zustehen, hängen von den Rechtsformen ab, in denen die Behörde verwaltungsrechtlich gehandelt hat. Der Nachbar kann gegen eine Baugenehmigung im Wege der Anfechtungsklage vorgehen und im einstweiligen Rechtsschutz einen Antrag nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs bzw. seiner Anfechtungsklage stellen, weil die Baugenehmigung einen Verwaltungsakt darstellt. Baut der Bauherr ohne Baugenehmigung, so kann der Nachbar mit der Verpflichtungsklage von der Baubehörde den Erlass einer Beseitigungsverfügung verlangen, weil auch diese Verfügung einen Verwaltungsakt darstellt. Im einstweiligen Rechtsschutz muss dieses Ziel mithilfe eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO verfolgt werden. Soweit ist alles klar.

Was kann aber der Nachbar gegen eine nachträgliche rechtliche Neubewertung des Vorhabengrundstücks – hier konkret gegen die Umwandlung eines § 35-Bereichs in einen § 34-Bereich – unternehmen?

Die planungsrechtliche Würdigung der Behörde in einem Ergebnisvermerk aus dem Ortstermin – also die Umwandlung eines § 35-Bereichs in einen § 34-Bereich – stellt keinen Verwaltungsakt dar. Sie ist weder auf die Herbeiführung einer verbindlichen Rechtsfolge gerichtet noch kommt ihr Außenwirkung zu. Der Ergebnisvermerk ist ein rein interner Aktenvermerk, der nicht an eine außerhalb der Verwaltung stehende Person adressiert ist. Dadurch tritt weder gegenüber dem Grundstückseigentümer noch gegenüber den Nachbarn dieses Grundstücks eine verbindliche Rechtsfolge ein. Die planungsrechtliche Würdigung kann gegenüber dem Nachbarn keine rechtliche Bindungswirkung entfalten und ist daher auch nicht geeignet, Nachbarrechte zu berühren.

Eine „Umwidmung“, wie sie im Recht der öffentlichen Sachen, insbesondere im Straßenrecht oder im Hafenrecht als Allgemeinverfügung im Hinblick auf die öffentlich-rechtlichen Eigenschaften einer Sache erfolgen kann (vgl. § 35 Satz 2 VwVfG), gibt es im Bauplanungsrecht nicht. Ob ein Gebiet als Außenbereich oder Innenbereich anzusehen ist, ist allein anhand der rechtlichen Kriterien des Baugesetzbuches zu beurteilen, kann aber nicht von der Baubehörde durch Verwaltungsakt bestimmt werden.

Beabsichtigt der Nachbar eines Vorhabengrundstücks sich gegen die geänderte rechtliche Bewertung, dass das Grundstück im Innen- und nicht im Außenbereich liege, zur Wehr zu setzen, muss er grundsätzlich den Erlass der Baugenehmigung abwarten. Er kann gegen die noch ausstehende Baugenehmigung im Wege eines Anfechtungswiderspruchs bzw. einer Anfechtungsklage vorgehen. Weil seinem Widerspruch bzw. seiner Klage gegen die Baugenehmigung gem. § 212a BauGB keine aufschiebende Wirkung zukommt, kann er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80a Abs. 3 VwGO beim Verwaltungsgericht beantragen.

Dem Nachbarn ist es auch grundsätzlich zumutbar, den Erlass der Baugenehmigung abzuwarten. Die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes erfordert wegen seines Ausnahmecharakters ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis. Die Verwaltungsprozessordnung geht davon aus, dass der zur Verfügung gestellte nachgängige, repressive Rechtsschutz ausreicht. Das gilt insbesondere in Hinblick auf einen bevorstehenden Verwaltungsakt. Dessen Erlass ist grundsätzlich abzuwarten. Nur wenn ohne die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes die Gefahr besteht, dass vollendete, nicht mehr rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen werden oder wenn ein nicht mehr wiedergutzumachender Schaden entsteht, ist ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis ausnahmsweise zu bejahen.

Autor: Dr. Gor Hovhannisyan, LL.M., Mag. rer. publ.

Zurück

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Dann teilen Sie ihn doch mit anderen: