Verwaltungsrecht
Kann man „Corona-Spaziergänge“ verbieten? – Ein Überblick der gerichtlichen Entscheidungen
Worauf soll es für das Verbot ankommen?
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Behörden es jedes Mal darauf ankommen lassen müssen, ob sich die Teilnehmer an Auflagen, wie etwa Abstandsgebote und Maskenpflicht, halten werden, oder sie die „Spaziergänge“ im Vorhinein verbieten können, wenn schon absehbar ist, dass sich kaum jemand daran halten wird․
Der Freistaat Sachsen erlaubt in der Corona-Notfall-Verordnung Versammlungen unter freiem Himmel mit maximal 200 Menschen (§ 7 Abs. 1). In anderen Bundesländern versuchen Städte und Gemeinden stattdessen, nicht angemeldete Versammlungen vorab per Allgemeinverfügung zu verbieten. Dieses Vorgehen ist jedoch rechtlich fragwürdig. Die Rechtslage zwischen Infektionsschutzgesetz (IfSG) und den Versammlungsgesetzen (VersammlG) der Länder ist bislang unklar.
Die Gerichte sind uneins
Gemäß § 28a Abs. 8 IfSG können die Länder zwar unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin Schutzmaßnahmen nach dem IfSG anwenden, die Untersagung von Versammlungen ist den Ländern nach dem Ende der sogenannten epidemischen Lage nationaler Tragweite jedoch untersagt. Fraglich ist mithin, ob sämtliche Versammlungsverbote, die letztlich auf Gründen des Infektionsschutzes beruhen, unzulässig sein sollen.
Nach dem Verwaltungsgericht (VG) Neustadt an der Weinstraße sei es eine „komplexe Rechtsfrage, in welchem Verhältnis die versammlungsrechtliche Befugnis zum Erlass eines Versammlungsverbots nach § 15 Abs. 1 VersammlG zu den infektionsschutzrechtlichen Befugnissen nach § 28 Abs. 1 IfSG zum Erlass von notwendigen Schutzmaßnahmen“ stehe.
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz hat die Eilentscheidung des VG Neustadt an der Weinstraße zum Verbot der Corona-Spaziergänge bestätigt. Zum Verhältnis des VersG und IfSG führt das OVG aus, dass einiges dafür spreche, dass in § 28a Abs. 8 S. 1 Nr. 3 IfSG eine infektionsschutzrechtliche Spezialregelung zu sehen sei, die eine Sperrwirkung gegenüber dem VersammlG entfalte. Das bedeute, „dass sie einen Rückgriff auf die allgemeine versammlungsrechtliche Befugnis zum Erlass eines Versammlungsverbots […] jedenfalls grundsätzlich“ ausschließe. Sollte aber eine solche grundsätzliche Sperrwirkung zu bejahen sein, würde sich die weitere Frage stellen, wie weit diese grundsätzliche Sperrwirkung reicht und ob nicht Ausnahmen von einem solchen Grundsatz zuzulassen seien, so das OVG.
Dies sieht das VG Stuttgart aber anders. Es hat einem gegen das generelle Verbot von „Corona-Spaziergängen“ per Allgemeinverfügung in Bad Mergentheim gerichteten Eilantrag stattgegeben. Nach Ansicht des Gerichts ist die Allgemeinverfügung aller Voraussicht nach rechtswidrig. Dem Schutz der Versammlungsfreiheit unterfielen auch nicht angemeldete Versammlungen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Der bloße Verstoß gegen die Anmeldepflicht stelle noch keine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinn des Versammlungsrechts dar. Dies gilt auch dann, wenn er planmäßig begangen worden sei. Das präventive Versammlungsverbot genüge deshalb nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Versammlungsfreiheit. Zugleich betonte das VG jedoch, dass sich die Stadt wohl auf das Versammlungsgesetz und die Corona-Verordnung als Rechtsgrundlage stützen durfte. § 28a Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 IfSG sei an die Gesundheitsbehörden adressiert und als eine das Versammlungsrecht „lediglich ergänzende und bereichsspezifisch konkretisierende“ Vorschrift zu verstehen. Die versammlungsrechtliche Befugnisnorm des § 15 Abs. 1 VersammlG werde damit nicht gesperrt, so das VG Stuttgart.
Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg teilt diese Ansicht nicht. In einigen Verfahren hat er bereits die Rechtmäßigkeit des präventiven Versammlungsverbots bejaht. Der VGH sieht einen Unterschied zwischen angemeldeten und unangemeldeten Versammlungen. Die Gefahrenbeurteilung unterscheide sich hier erheblich, weil bei angemeldeten Veranstaltungen im Vorfeld Kooperationsgespräche stattfänden und ein Hygienekonzept erstellt werden könne. Auch wegen der sog. Omikron-Welle bestehen ganz erheblich erhöhte Ansteckungsgefahren, die das präventive Verbot unangemeldeter Montagsspaziergänge rechtfertigten.
Was meint dazu das BVerfG?
Einen Eilantrag gegen das präventive Verbot von Montagsspaziergängen in Baden-Württemberg per Allgemeinverfügung und gegen zwei Gerichtsentscheidungen dazu (die des VG Freiburg und des VGH Baden-Württemberg) hat die 1. Kammer des Ersten Senats beim BVerfG abgelehnt. Die Frage, ob pauschale Versammlungsverbote per Allgemeinverfügung mit der Versammlungsfreiheit vereinbar sind, ist „eine verfassungsrechtlich offene Frage, deren Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss“, so die Kammer. Der abgewiesene Eilantrag ist mit einem anhängigen Hauptsachverfahren verbunden, über das das BVerfG hoffentlich in absehbarer Zeit entscheiden wird.
Autor: Dr. Gor Hovhannisyan, LL.M., Mag. rer. publ.
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