Verwaltungsrecht
Heilung der unterbliebenen Anhörung im Gerichtsprozess im Zusammenhang mit den Wahlplakaten zur Bundestagswahl 2021
Mit ihrem Bescheid verfügte die zuständige Ordnungsbehörde, dass die Wahlplakate mit dem Aufdruck „HÄNGT DIE GRÜNEN!“ spätestens drei Tage nach Zustellung von allen Standorten im Gemeindegebiet aus dem öffentlichen Verkehrsraum sowie von Stellen zu entfernen sind, die von öffentlichen Straßen aus sichtbar sind. Sie ordnete des Weiteren die sofortige Vollziehung des Bescheides an.
Das Verwaltungsgericht Chemnitz hat auf den von der Partei erhobenen Eilantrag die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid mit der Maßgabe wiederhergestellt bzw. angeordnet, dass die Plakate „HÄNGT DIE GRÜNEN!“ in einem Abstand von mindestens 100 m von Wahlwerbeplakaten der Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ aufzuhängen seien.
Hiergegen wendete sich die Partei an das sächsische Oberverwaltungsgericht und führte in der Begründung ihrer Beschwerde u.a. aus, dass sich der Bescheid der Behörde bereits als formell rechtswidrig erweise, da die Anhörung vor dem Erlass des Bescheides unterblieben sei.
Rechtliche Würdigung des OVG
Das OVG stellt fest, dass eine Anhörung der Partei zwar zunächst zu Unrecht unterblieben ist, dieser Mangel aber geheilt wurde. Daher ist der Bescheid der Behörde nicht wegen unterbliebener Anhörung rechtswidrig.
1. Grundsätzlich ist die Anhörung notwendig
Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (§ 1 Satz 1 SächsVwVfZG i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG). Ein solches Anhörungsverfahren wurde von der Behörde vor dem gerichtlichen Eilverfahren nicht durchgeführt. Eine vorherige Anhörung der Partei war auch nicht entbehrlich (§ 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG).
2. Der Fehler der Behörde kann unbeachtlich sein
Ist eine Anhörung entgegen dem Gesetz unterblieben, kann der Mangel geheilt werden (§ 1 Satz 1 SächsVwVfZG i. V. m. § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG), wenn die Anhörung nachgeholt wird. Voraussetzung hierfür ist es, dass die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Diese Funktion besteht nicht allein darin, dass der Betroffene seine Einwendungen vorbringen kann und diese von der Behörde zur Kenntnis genommen werden, sondern schließt vielmehr ein, dass die Behörde ein etwaiges Vorbringen bei ihrer Entscheidung in Erwägung zieht.
3. Regelmäßig keine nachträgliche Anhörung im Gerichtsprozess
Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren stellen regelmäßig keine nachträgliche Anhörung dar. Im Prozess abgegebene Äußerungen und Erklärungen von Beteiligten sind in erster Linie auf den Fortgang des Rechtsstreits und nur ausnahmsweise auch auf die Änderung der streitigen Rechtslage gerichtet.
4. Voraussetzung für eine ordnungsgemäß nachgeholte Anhörung
Daher setzt eine funktionsgerecht nachgeholte Anhörung voraus, dass sich die Behörde nicht darauf beschränkt, die einmal getroffene Sachentscheidung zu verteidigen, sondern das Vorbringen des Betroffenen erkennbar zum Anlass nimmt, die Entscheidung kritisch zu überdenken.
Im vorliegenden Fall war der Wille der Behörde erkennbar, nicht nur ihre Entscheidung zu verteidigen, sondern nach einer erneuten Prüfung eine inhaltsgleiche Entscheidung zu treffen. Die Behörde hat im erstinstanzlichen Eilverfahren in Kenntnis der fehlenden Anhörung an ihrer Verfügung festgehalten, wobei sie ergänzend zu den Gründen im Bescheid zu den von der Partei vorgetragenen Aspekten Stellung genommen hat und diese in die neuerliche rechtliche Bewertung eingeflossen sind. Damit wird hinreichend klar, dass nicht nur die Entscheidung verteidigt, sondern die bereits getroffene Entscheidung erneut auch außerhalb des Rechtsstreits inhaltsgleich bestätigt werden soll.
Quelle: Sächs․ OVG (6. Senat), Beschluss vom 21.09.2021 – 6 B 360/21
Autor: Dr. Gor Hovhannisyan, LL.M., Mag. rer. publ.
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