Recht in Reimform oder „geknittelt“ gilt auch als wirksam übermittelt

Das Wesen eines demokratischen Rechtsstaates ist gekennzeichnet vom Prinzip der Gewaltenteilung, also der Trennung zwischen gesetzgebender Gewalt (Legislative = Parlament) und der ausführenden Gewalt (Exekutive = Regierung oder Verwaltung) sowie einer unabhängigen Justiz (die sog. 3. Gewalt).
Es verbietet sich daher selbstredend, dass etwa Mitglieder des Parlaments über Urteile der „letzten Instanz“ (z. B. des Bundesverfassungsgerichtes) „lästern“ oder vornehm ausgedrückt: Kritik üben – eigentlich!

Was ist aber andererseits von Urteilen der 3. Gewalt zu halten, die, was vereinzelt immer mal wieder vorkommt, in Reimform oder in Knittelversen abgefasst sind? Für den Außenstehenden sind diese Entscheidungen äußerst amüsant und unterhaltsam. Endlich einmal etwas zum Schmunzeln. Wilhelm Busch lässt grüßen. Und für die beteiligten Parteien? Darf die dritte Gewalt so etwas?

Urteil in Reimform – ein Grenzbereich?

Unzweifelhaft dürfte sein, dass die Beteiligten auf keinen Fall der Lächerlichkeit preisgegeben oder gar verunglimpft werden dürfen. Es kommt also stets auf den Einzelfall an. In einem arbeitsgerichtlichen Verfahren hatte das Arbeitsgericht Detmold den Sachverhalt/Tatbestand – auszugsweise – wie folgt beschrieben:

„Doch hätten Zeugen ihm beschrieben, was die Klägerin getrieben.
Er kündigte aufgrund der Kunde der Klägerin aus andrem Grunde,
um – dies ließ er jedoch betonen – den Ruf der Klägerin zu schonen.
Die Klägerin klagte dann sogleich. Man einigte sich im Vergleich –
hier mag man die Parteien loben – denn der Vertrag ward aufgehoben
und um die Sache abzurunden, die Klägerin noch abgefunden.
Der Klägerin reichte dies nicht hin, denn ihr steht nach Mehr der Sinn …
Die Pein, die man ihr zugefügt, der werde nur durch Geld genügt.
Die Lügen – für sie nicht zu fassen – muss der Beklagte unterlassen.“

Und dann in den Urteilsgründen ausgeführt:

„Auch wenn’s der Klägerin missfällt: es gibt für sie kein Schmerzensgeld;“

Die Klägerin legte das Rechtsmittel der Berufung ein und rügte u. a. die Abfassung in Reimform.

Das zuständige Landesarbeitsgericht entschied, dass das Urteil an einem Verfahrensverstoß leidet, wenn eine der Parteien in ihrer Würde verletzt und das Ansehen der staatlichen Gerichte beeinträchtigt wird. Nähere Ausführungen, welche konkreten Ausführungen des Arbeitsgerichtes zu beanstanden wären unterblieben aber, weshalb die Begründung nicht vollständig überzeugt. Dennoch: Trotz des angenommenen „wesentlichen Verfahrensfehlers“ hat das Landesarbeitsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Klartext sprach dagegen – schon vor Jahrzehnten – das Oberlandesgericht Karlsruhe:

„Bei der Abfassung eines Urteils ist stets zu beachten, dass die Grenzen verfassungsmäßiger Ordnung eingehalten werden. Insbesondere kann eine Verletzung der Menschenwürde dann vorliegen, wenn Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Gericht die Beteiligten nicht als freie, selbst verantwortliche Prozesssubjekte, sondern als rechtlose Objekte des Staates oder als zum Objekt eines Kollektivs degradierte Menschen behandelt oder sie sonst diffamiert oder erniedrigt hat.

Eine Abfassung der Urteilsbegründung in Reimform (Knittelverse) ist jedoch in dieser Hinsicht nicht zu beanstanden, wenn sich die Urteilsgründe sachlich mit den der Urteilsfindung zugrundeliegenden Tatsachen und Erwägungen, insbesondere auch mit dem Vorbringen der Beteiligten, auseinandersetzen und auch für die Beteiligten erkennbar das Streben des Gerichts deutlich machen, die Parteien von der Richtigkeit des Urteils durch die Darlegung seiner Gründe zu überzeugen. Bei dieser Sachlage wird der Persönlichkeitswert der Beteiligten durch die Reimform der Urteilsgründe nicht berührt.

Der Zulässigkeit einer Urteilsabfassung in Knittelversen steht auch nicht das Bedenken entgegen, diese Gründe würden die Gefahr in sich bergen, von den Beteiligten nicht als ernst gemeint verstanden zu werden. Das Ziel des Urteils, die Beteiligten von der Richtigkeit der angestellten sachlichen und rechtlichen Erwägungen zu überzeugen, kann in gleichem Maße gefährdet werden, wenn ein Urteil zwar in Prosa abgesetzt ist, die Gründe aber das Vorbringen der Beteiligten nicht nur unbeachtet lassen, sondern sich darüber in einer ihr Gerechtigkeitsgefühl kränkenden Weise hinwegsetzen oder ihr Anliegen gar bagatellisieren.“


Sonstige Rechtserklärungen „knitteln“ – wirksam?

Also mutig voran. Denn auch sonstige außergerichtliche Rechtshandlungen wie z. B. eine Mahnung oder Kündigung, die durchaus erhebliche Rechtsfolgen auslösen können und deshalb zwingend wirksam ausgesprochen werden müssen, dürfen „geknittelt“ oder „gereimt“ werden:

Nach Abschluss des Vertrages
habe er seine Rechnung eines Tages
dem Beklagten übersandt;
der habe darauf nichts eingewandt.
Bezahlt jedoch habe der Beklagte nicht.
Deshalb habe er an ihn ein Schreiben gericht´.

Darin heißt es unter anderem wörtlich (und das war für die Entscheidung erheblich):

"Das Mahnen, Herr, ist eine schwere Kunst!
Sie werden's oft am eigenen Leib verspüren.
Man will das Geld, doch will man auch die Gunst
des werten Kunden nicht verlieren.
Allein der Stand der Kasse zwingt uns doch,
ein kurz' Gesuch bei Ihnen einzureichen:
Sie möchten uns, wenn möglich heute noch,
die unten aufgeführte Schuld begleichen".

Ergebnis des Landgericht Frankfurt/Main: Auch eine Mahnung in Versen begründet – rechtswirksam – Verzug; der Gläubiger muss nur deutlich genug darin dem Schuldner sagen, das Ausbleiben der Leistung werde Folgen haben.

Ermutigt hiervon wartet der Autor nun auf eine passende Gelegenheit, endlich auch einmal einen kurzen Schriftsatz dem Gericht (und der anderen Partei) in Reimform zu servieren.

Ein guter Vorsatz für das neue Jahr 2024 – und mal etwas ganz anderes!

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