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Testamentsanfechtung: Die spätgeborene Pflichtteilsberechtigte
Das Oberlandesgericht (OLG) München hatte sich mit diesem Sachverhalt auseinanderzusetzen, der auf breiteres Interesse stoßen dürfte. Im Einzelnen:
Die Forderung der Lebensgefährtin
Am 23.07.2024 verlangte die ehemalige Lebensgefährtin des Erblassers von dessen Tochter als Alleinerbin die Überlassung des Eigentums an den besagten beiden Eigentumswohnungen und die unverzügliche Sicherung dieses Anspruches durch eine Auflassungsvormerkung im betreffenden Grundbuch. Dem gegenüber erklärte die Tochter des Erblassers die Anfechtung des Testamentes des Erblassers vom 07.12.1994, insbesondere des darin enthaltenen, vorstehend erwähnten Vermächtnisses zu Gunsten der damaligen Lebensgefährtin. Die damalige Lebensgefährtin des Erblassers trug unter anderem vor, dass der Erblasser die beiden Eigentumswohnungen während der Lebensgemeinschaft mit ihr erworben habe und sie sich im Namen des Erblassers um diese Eigentumswohnungen gekümmert und im Namen des Erblassers möbliert vermietet habe. Sie habe während der Lebensgemeinschaft mit dem Erblasser mit diesem miteinander gewirtschaftet und sie hätten sich gegenseitig wirtschaftlich unterstützt. Im Jahre 2008 habe der Erblasser ein Verhältnis mit der späteren Mutter seiner Tochter unterhalten. Die Beendigung der Lebensgemeinschaft habe jedoch nichts mit dem Verhältnis des Erblassers zur Mutter seiner Tochter zu tun gehabt.
Die Entscheidung des Landgerichts und Beschwerde
Die Lebensgefährtin verlangte nun vor dem angerufenen Landgericht im Wege der einstweiligen Verfügung von der Tochter des Erblassers die Beantragung und Bewilligung der Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung des Anspruches auf Auflassung des besagten Wohnungseigentumes. Das Landgericht wies den Antrag zurück. Hiergegen richtete sich die sofortige Beschwerde der ehemaligen Lebensgefährtin des Erblassers an das OLG München. Das Landgericht half der sofortigen Beschwerde nicht ab und legte die Akten dem zuständigen Senat des OLG München zur Entscheidung vor.
Die Anfechtung des Testaments durch die Tochter
Die Tochter des Erblassers als Antragsgegnerin hatte am 09.09.2024 nochmals ausdrücklich die Anfechtung des besagten Testamentes vom 07.12.1994 aufgrund Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten gemäß § 2079 S. 1 BGB erklärt. Die sofortige Beschwerde der ehemaligen Lebensgefährtin des Erblassers hatte jedoch keinen Erfolg.
Die Entscheidung des OLG München
Denn nach Auffassung des OLG München war es der ehemaligen Lebensgefährtin des Erblassers als Antragstellerin nicht gelungen, den Ausschluss eines Anfechtungsgrundes im Sinne des § 2079 BGB wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten überwiegend wahrscheinlich zu machen. Gemäß § 2079 S. 1 BGB kann eine letztwillige Verfügung (Testament) angefochten werden, wenn der Erblasser einen zurzeit des Erbfalles vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, dessen Vorhandensein ihm bei der Errichtung der letztwilligen Verfügung nicht bekannt war oder er erst nach der Errichtung geboren oder pflichtteilsberechtigt geworden ist.
Die spätere Geburt eines Abkömmlings des Erblassers nach Errichtung eines Testamentes – wie hier – stelle einen klassischen Fall des § 2079 BGB dar. Die Anfechtung nach § 2079 S. 1 BGB wegen Übergehens einer Person aus dem engen Kreis der Pflichtteilsberechtigten habe seinen Sinn in den typischerweise bestehenden engen familiären Bindungen des Erblassers zu seinen Abkömmlingen.
Hat der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung keine Kenntnis über die spätere Existenz eines Abkömmlings, so hat er im Zweifel z. B. nur für die bereits vorhandenen Abkömmlinge testiert. Maßgebendes Kriterium sei die Existenz eines neuen Menschen, der zu dem engen Kreis der dem Erblasser nahestehenden Person als Pflichtteilsberechtigter gehört und dem Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung nicht bekannt sein konnte. Ein Übergehen eines Pflichtteilsberechtigten im Sinne des § 2079 BGB liegt vor, wenn der Erblasser ihn nicht bedacht hat, aber auch nicht von der Erbfolge ausschließen wollte. Ein ungewolltes Ausschließen setzt dabei voraus, dass der Pflichtteilsberechtigte weder enterbt noch als Erbe eingesetzt oder mit einem Vermächtnis bedacht wurde. Der Erblasser muss den Pflichtteilsberechtigten unbewusst nicht bedacht haben. Der Ausschluss von der Erbschaft darf kein Resultat bewusster Willensbildung des Erblassers sein. Dabei muss die Absicht des Erblassers bereits bei Testamentserrichtung irgendwie zum Ausdruck gekommen sein, dem später Pflichtteilsberechtigten nichts zuwenden zu wollen.
Beim Vorliegen der genannten Voraussetzungen berechtige gemäß § 2079 S. 1 BGB bereits die bloße Unkenntnis des Erblassers von der Existenz eines Pflichtteilsberechtigten zur Anfechtung, ohne dass es auf die kausale Verbindung zwischen Unkenntnis und Inhalt des Testamentes ankommt. Dabei wird von Gesetzes wegen als Regelfall vermutet, dass der Erblasser bei Kenntnis der Sachlage den Pflichtteilsberechtigten nicht übergangen hätte. Diese Vermutung entfällt jedoch gemäß § 2079 S. 2 BGB, wenn und soweit ein entgegenstehender Erblasserwille festgestellt werden könne. Es komme also auf den hypothetischen Erblasserwillen an.
Hier gelang es der ehemaligen Lebensgefährtin des Erblassers jedoch nicht, diese Vermutung des § 2079 S. 1 BGB durch Glaubhaftmachung von entsprechenden Umständen zu widerlegen. Vielmehr habe die ehemalige Lebensgefährtin des Erblassers sogar vorgetragen, dass auch nach der Trennung von dem Erblasser das persönliche Verhältnis zu ihm gut und vertrauensvoll gewesen sei. Dieses spreche aus Sicht des OLG München dafür, dass der Erblasser bewusst trotz der zwischenzeitlichen Beendigung der Lebensgemeinschaft und Geburt seiner Tochter sein vorgenanntes Testament nicht geändert habe. Der Vortrag der ehemaligen Lebensgefährtin des Erblassers schließe gerade nicht aus, dass der Erblasser das Testament in der Folge lediglich vergessen oder dessen Widerruf/Vernichtung beabsichtigt habe.
Wesentliche rechtliche Erkenntnisse
- Anfechtung nach § 2079 BGB: Ein Testament kann gemäß § 2079 Abs. 1 BGB angefochten werden, wenn ein Pflichtteilsberechtigter übergangen wurde und dem Erblasser dessen Existenz bei Testamentserrichtung nicht bekannt war.
- Widerlegung der gesetzlichen Vermutung: Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn nachgewiesen wird, dass der Erblasser trotz Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten sein Testament unverändert bestehen lassen wollte (§ 2079 Abs. 2 BGB).
- Beweislast: Die Beweislast für einen entgegenstehenden Erblasserwillen liegt bei dem im Testament eingesetzten Erben.
Fazit
Die Entscheidung des OLG München (Beschluss vom 19.09.2024, Az.: 33 W 1507/24) kommt somit zu der zutreffenden Erkenntnis, dass die spätere Geburt eines Abkömmlings des Erblassers nach Errichtung eines Testamentes eben einen klassischen Fall des § 2079 BGB darstelle. Diese Erkenntnis verdeutlicht, dass jeder Erblasser, dessen Familienverhältnisse sich nach Errichtung eines Testamentes grundlegend – etwa durch die Geburt eines leiblichen Kindes oder einer Eheschließung – Anlass zu einer ernsthaften Überprüfung eines bereits erstellten Testamentes gibt. Ansonsten drohen rechtliche Auseinandersetzungen, wie die hier behandelte Entscheidung des OLG München an einem klassischen Beispielsfall verdeutlicht.